In einem Exklusivinterview mit Michael Bouhanna, dem Direktor für digitale Kunst und NFT bei Sotheby’s, wollten wir herausfinden, wie das berühmte Auktionshaus das Web3 in seiner Branche auffasst. Ist die Blockchain-Technologie dabei, die Kunstwelt völlig zu revolutionieren?
Interview mit Michael Bouhanna, Direktor für digitale Kunst und NFT bei Sotheby’s.
Sotheby’s ist eines der ältesten Auktionshäuser der Welt. Das Unternehmen ist in den letzten Jahren mehrfach im Kryptowährungs-Ökosystem aufgefallen, sei es mit seinem eigenen Marktplatz für nicht fungible Token (NFT) oder dem Verkauf der Grails-Kollektion von Three Arrows Capital (3AC).
Um mehr über die Web3-Aktivitäten des berühmten Hauses zu erfahren, sprachen wir mit Michael Bouhanna, dem Direktor für digitale Kunst und NFT bei Sotheby’s. In seinem Beruf befasst sich unser Gast mit der langfristigen Strategie seiner Abteilung sowie mit der „Kuratierung“, d. h. dem gesamten Prozess, der unter anderem auf die Suche und Auswahl von Werken abzielt, die auf Auktionen verkauft werden sollen.
Kannst du uns etwas über deinen Werdegang erzählen und wie du dazu gekommen bist, Kunst und Web3 zu verbinden?
“ Ich habe vor acht Jahren bei Sotheby’s als Spezialist für zeitgenössische Kunst angefangen und sechs Jahre lang in London gearbeitet, wo ich Leiter einer Auktion war. Ich habe mich schon immer für neue Technologien und junge Künstler interessiert und Ende 2020 habe ich angefangen, mir anzuschauen, was im Bereich NFT, Kryptokunst und digitale Kunst passiert. Ich sah einige sehr interessante Künstler, die dieses neue Vehikel nutzten und startete Anfang 2021 die ersten NFT-Auktionen bei Sotheby’s. „
Außerdem ging unser Gast auch auf die Web3-Vision von Sotheby’s ein:
“ Als wir 2021 unsere erste Auktion starteten, die ausschließlich der digitalen Kunst gewidmet war, funktionierte das sehr gut und wir verpflichteten uns, eine starke Präsenz in der Web3-Community aufzubauen. Im selben Jahr starteten wir das Sotheby’s Metaverse, die Plattform speziell für NFT. Dies ermöglicht uns, mehr Funktionen zu entwickeln, insbesondere die letzte, die wir mit der Integration der Art Block Engine angekündigt haben, die es uns ermöglicht, generative Kunstverkäufe vollständig on-chain durchzuführen. „
NFT als neues Vehikel für digitale Kunst
Tragen die NFT für dich zu einer größeren Demokratisierung der digitalen Kunst bei?
“ Es gab schon immer einen Mangel an Bildung darüber, wie diese digitalen Werke mit neuen Technologien geschaffen werden. Die NFT haben eine ganze Generation jüngerer Sammler digitaler Kunst hervorgebracht. Bei Sotheby’s sind diese in der Regel zehn Jahre jünger als unser durchschnittlicher Käufer, und sie haben weniger Bedenken als traditionelle Kunden, sich für ein Werk zu interessieren, das nicht von einem physischen Träger begleitet wird. „
Während digitale Kunst und NFTs manchmal verwechselt werden können, erinnert uns Michael Bouhanna daran, dass letztere nur eine Facette der ersteren ist. Tatsächlich entsteht digitale Kunst lange vor dem Aufkommen der Blockchain :
“ Digitale Kunst gibt es schon seit Jahrzehnten, das sehen wir an dem Verkauf von Vera Molnár, die 1968 begann, Computer zu benutzen, obwohl damals kein Künstler Zugang zu Computern hatte, um Algorithmen zur Schaffung von visueller Kunst zu erstellen. Aber für sie und auch später mit anderen Künstlern in den 80er/90er Jahren ging es in Richtung Papierform, um in den Kreislauf der traditionellen Kunst zurückzukehren. „
Apropos Vera Molnár: Die 99-jährige Künstlerin ist immer noch kreativ und wird am 26. Juli bei Sotheby’s mit der generativen Kunstsammlung Themes and Variations geehrt, die aus 500 nicht fungiblen Token besteht:
Beobachtest du einen Anstieg der traditionellen Käufer, die sich NFTs zuwenden?
“ Es gibt viele Beispiele für wichtige traditionelle Sammler, die neugierig sind, sich für eine neue Ästhetik interessieren und in NFT eine neue Art des Sammelns sehen. Es ist auch etwas sehr Generationsbezogenes, das eine überdurchschnittlich junge Sammlerbasis anspricht, wie ich bereits sagte. Erfahrungsgemäß ist jeder Verkauf auch eine Gelegenheit, über die Kunst dahinter aufzuklären, denn das Wort „NFT“ wurde durch Spekulation verunreinigt, während es sich in Wirklichkeit um digitale Künstler handelt, die diesen Vertriebsweg genauso nutzen, wie sie einen anderen Vertriebsweg nutzen könnten. „
In der Tat waren viele Künstler bereits in ihrer Kunst anerkannt, bevor sie sich NFT zuwandten, wie unser Gast erklärt:
“ Der Schaffensprozess ist sehr interessant, und manchmal sind es Künstler, die bereits eine sehr große Karriere hinter sich haben, insbesondere mit Ausstellungen in Institutionen. Es ist also wirklich eine Frage der Bildung, die digitale Kunst in den Kontext der Kunstgeschichte zu stellen. „
Rückblick auf das Wertangebot des NFT-Marktplatzes von Sotheby’s.
Im Mai dieses Jahres startete Sotheby’s Metaverse seinen eigenen NFT-Marktplatz. Wir fragten Michael Bouhanna, wie sich die Plattform im Vergleich zu Konkurrenten wie OpenSea positioniert:
“ Ich denke, wir haben einen völlig anderen Ansatz, da wir die Künstler auswählen, die auf der Plattform präsentiert werden können. Sammler können also keine Werke auflisten, die nicht zu den 13 ausgewählten Künstlern gehören. Wir können also sicher sein, dass Kunden, die die Plattform betreten, empfohlen wird, Werke von Künstlern zu kaufen, von denen wir glauben, dass sie die richtigen sind, und wir werden weiter erforschen und nach und nach weitere hinzufügen, während wir hyperselektiv bleiben. „
Qualität wird der Quantität vorgezogen, und jeder ausgestellte Künstler erhält eine detailliertere Hervorhebung als auf anderen Marktplätzen :
“ Andererseits ist jede Auktion und jede Veranstaltung eine Gelegenheit zur Bildung, daher sind wir sehr auf den Inhalt, die Biografie des Künstlers und den technischen Prozess fokussiert. Tatsächlich muss der Sammler, der auf dem Marktplatz stöbert, das Werk gut kennen, bevor er kauft, und das versuchen wir durch diese Erfahrung, die wir auf unserer Plattform anbieten, zu ermöglichen. „
Der Fall von Grails: Die NFT-Sammlung von 3AC
Über seine eigenen Erfahrungen mit Web3 hinaus ist Sotheby’s mit dem Verkauf der umfangreichen Grails-Sammlung des Investmentfonds Three Arrows Capital betraut, der letztes Jahr im Zuge des Terra-Falls (LUNA) Konkurs anmelden musste. Diese Auktionsreihe, die sich über mehrere Termine erstreckte, brachte einige gute Summen zusammen, wie z. B. das Werk Ringers 879 mit dem Spitznamen „The Goose“ des Künstlers Dmitri Cherniak, das für 6,2 Millionen Dollar versteigert wurde.
Wie kam es dazu, dass Sotheby’s den Verkauf der NFT Grails-Sammlung von 3AC betreute?
“ Wir sind das führende Auktionshaus, sowohl auf dem traditionellen Markt als auch im Bereich der digitalen Kunst, und wir sind darauf spezialisiert, sehr große Verkäufe zu organisieren, sei es in Bezug auf die Qualität oder das Volumen. Wir konnten eine Strategie vorschlagen, die den Insolvenzverwalter zufrieden stellte, nämlich Verkäufe über verschiedene Kanäle wie Auktionen oder Privatverkäufe und weltweit über Plattformen in New York, Hongkong und in Europa anzubieten. „
Just, diese Auktion scheint ziemlich gut zu funktionieren, obwohl der NFT-Markt momentan nicht in sehr guter Form ist, wie erklärst du dir das?
“ Das hängt davon ab, aus welchem Blickwinkel wir den Markt betrachten, er ist nicht in sehr guter Form, wenn wir ihn mit 2021 vergleichen, das meiner Meinung nach kein Maßstab sein sollte. Stattdessen sehen wir, dass es sich um einen aufstrebenden Markt handelt, der sehr jung ist, mit einer neuen Technologie und einem Ökosystem, das sich gleichzeitig bildet, und wir sehen, dass die Sammler immer selektiver werden. Der Markt wird vielleicht etwas enger, er bereinigt sich, es gibt viel weniger Spekulation, es wird schwieriger, sehr schnell Gewinne in NFT zu machen, was gut ist, weil es die Sammler dazu bringt, aus den richtigen Gründen zu kommen. Es bringt sie dazu, sich für Kunst zu interessieren, nach Lösungen zu suchen, wie sie das bei sich zu Hause ausstellen können, und nach der Beziehung zum Werk. „
Kann die Blockchain Vermittler wie Sotheby’s bedrohen?
Vielfach wird die Blockchain als eine Technologie beschrieben, mit der sich Zwischenhändler ausschalten lassen. Diese Mittelsmänner sind besonders im Kunstsektor präsent, sei es durch die verschiedenen Experten, Auktionshäuser oder Auktionatoren zum Beispiel. Wir fragten Michael Bouhanna, wie das Unternehmen diesen Paradigmenwechsel angeht:
“ Ich glaube, wenn es um Ästhetik in der Kunstgeschichte geht, ist es wichtig, Spezialisten als Vermittler zu haben, um diejenigen zu führen, die nicht unbedingt die Zeit haben, dies zu ihrem Beruf zu machen, um zu wissen, was sie kaufen sollen. Das tun wir und es macht Sinn, für diese Dienstleistung bezahlt zu werden. Wir konzentrieren uns auf das obere Ende des Marktes mit Werken, bei denen viel Aufwand betrieben werden muss. Das kommt der Art und Weise, wie wir ein traditionelles Werk verkaufen werden, sehr nahe, z.B. indem wir jeden Sammler anrufen, der potenziell für ein Gebot in Frage kommt. „
Bei Werken, die direkt über den NFT-Marktplatz von Sotheby’s verkauft werden, sind die verschiedenen Prozesse jedoch weitgehend automatisiert, weshalb unser Gast uns erklärt, dass in diesem Fall die Gebühren relativ ähnlich wie bei konkurrierenden Plattformen bleiben.
Zum Abschluss eine Bonusfrage: Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der eine Kunstsammlung beginnen möchte, sowohl auf dem traditionellen Markt als auch mit Web3-Technologien?
“ Der Rat, den ich zu Beginn meiner Tätigkeit erhielt, war, sein Auge zu schärfen. Das heißt, sich Tausende oder Zehntausende von Werken per Bild oder in natura anzusehen, um sich ein Urteil über die Ästhetik zu bilden, und dann zu sammeln, was einem gefällt. Wir sind so geschaffen, dass wir Qualität durch das Training, das wir unserem Auge gegeben haben, erkennen können.“
